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Neue Heimat Medlitz

Während „Flüchtlinge“ nicht nur das Wort des Jahres 2015 für sich beansprucht, sondern auch und immer noch das zentrale Ärgernis auf Kundgebungen von Pegida, AfD & Co. ist, beweist der mehrheitliche Rest Deutschlands Weltoffenheit und gewährt den zahlreich vor Krieg geflohenen Menschen Hilfe und Zuflucht. So auch in dem 163 Einwohner kleinen Dorf Medlitz, das derzeit 31 Flüchtlinge im örtlichen Gasthof beherbergt. Unangekündigt – und deshalb auch ungeschönt – stattete Nachrichten am Ort der Flüchtlingsunterkunft einen Besuch ab.

Liebevoll wird er als „Papa Johannes“ bezeichnet, der Herbergsvater und Gastwirt Johannes Bauer und man begreift auch schnell, warum. Denn mit den Zimmern seines Gasthauses „Zum goldenen Stern“ verschafft der kräftige Mann mittleren Alters, zusammen mit seinem Kollegen Christoph Schmitt, aktuell 15 Afghanen, 13 Syrern, zwei Irakern und einer aus dem Iran stammenden Person ein provisorisches Zuhause: Dreibettzimmer mit jeweils frisch renovierten Bädern und Fernsehern, ein großer Aufenthaltsraum mit Theaterbühne und eine daran angrenzende Gemeinschaftsküche sowie einen Garten mit Spielplatz – wenn man das so sieht, erscheinen die Geschichten von menschenunwürdigen Unterbringungen in Deutschland frei erfunden.

Natürlich sind die Zimmer nicht sehr groß und Privatsphäre ist innerhalb der eigenen vier Wände kaum möglich. Dennoch: Die hier lebenden Flüchtlinge haben sich mit diesem Umstand, wohl im Wissen um die Kriegszustände in ihren Heimatländern, arrangiert. Eine Art friedliches WG-Leben hat sich in der Herberge eingestellt, trotz der unterschiedlichen religiösen Hintergründe. Einige kochen in der Küche, während andere im Aufenthaltsraum zusammen sitzen und Gesellschaftsspiele spielen oder lernen – natürlich Deutsch. Und wieder andere ruhen sich in den Zimmern aus. Fast wirkt es ein wenig surreal, gestellt oder einfach nur, als hätten sie gewusst, dass die Presse heute zu Besuch kommt.

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Warum ein Bankkonto wichtig ist

„Nein, nein“, versichert Bauer, „der Schein trügt nicht. Bei uns geht es immer so friedlich zu.“ Doch dieser Friede beruhe nicht ausschließlich auf dem Laissez-faire-Prinzip, wie Schmitt ergänzt. Beide Betreiber hätten sich vorab über Religionszugehörigkeiten, Verwandtschaftsverhältnisse sowie zu den Geschlechtern der Geflohenen informiert. Diese Kriterien seien ausschlaggebend bei der Zimmereinteilung. So erhielten Ehepaare und Familien soweit möglich ein eigenes Zimmer, während sich drei männliche Singles schon mal ein Zimmer teilen müssten, erklärt Schmitt. Weiterhin haben Bauer und Schmitt dafür gesorgt, dass jeder der hier untergebrachten Flüchtlinge ein eigenes Konto bei der Sparkasse in Rattelsdorf bekommt, um das Diebstahlrisiko innerhalb der Unterkunft zu minimieren. Diese Maßnahmen seien wichtig und fördern ein friedliches Zusammenleben, betonen die Herbergsväter.

Die Zuteilung der Flüchtlinge sorgte in Medlitz jedoch für Skepsis: Es seien zu viele, gemessen an der Einwohnerzahl des kleinen Dorfes, sagten nicht wenige, auch in der Gastwirtschaft von Bauer. Ein langjähriger Stammgast drohte dem Gastwirt sogar, sollte er die Zufluchtssuchenden aufnehmen. Doch Zweifel und Scheu lösten sich sehr schnell und machten einer „sagenhaften Willkommenskultur“, wie Bauer diese nennt, Platz. Die Medlitzer unterstützten die zum Teil ohne Socken auf der Straße herumlaufenden Flüchtlinge mit gebrauchten und auch neu gekauften Kleidungsstücken. In der Adventszeit sorgte ein gemeinsames „Kaffee und Kuchen“ für ein Kennenlernen. Und neben einer kurzum zusammengelegten Weihnachtsfeier mit der katholischen Arbeiterbewegung brachten die Nachbarn obendrein noch Geschenke und ermöglichten den Flüchtlingskindern eine Weihnachtsbescherung. „Vorher waren etwa 70 Prozent gegen die Aufnahme der Flüchtlinge. Nun sind weit mehr als 70 Prozent froh über den Zuwachs in der Gemeinde, der als Bereicherung und nicht mehr als Bedrohung empfunden wird. Es ist immer das Ungewisse, das die Menschen abschreckt“, so Bauer.

Deutsch lernen, Arbeitsplätze bereitstellen

Für die Unterstützung, die er aus der Gemeinde und aus den umliegenden Flüchtlingsheimen erhält, ist der Gastwirt sehr froh. Sein ausdrücklicher Dank gilt der „guten Seele des Hauses“ Barbara Lurtz, der Pfarrei Rattelsdorf und auch Slavika Geyer. Letztere immigrierte selbst vor einiger Zeit nach Deutschland und möchte nun die Hilfsbereitschaft, die sie damals erfahren durfte, an die Flüchtlinge weitergeben. Bauer dankt darüber hinaus all denjenigen, die die Integration der Flüchtlinge vorantreiben: Von den Deutschlehrern bis hin zu den Sportvereinen und auch den örtlichen Betrieben, in denen versucht wird, Arbeitsplätze für die Asylbewerber zu schaffen. Auf die Frage, an was es den Menschen in seiner Unterkunft fehle, verweist Bauer auf Kinderspielzeug, Teppiche oder Fahrräder – Alltagsgegenstände, die immer gebraucht würden. Auch ein Fahrdienst wäre eine willkommene Erleichterung für die Kinder, die seit diesem Jahr die Schule besuchen oder jene, die nach Bamberg zum Arzt müssen. Ansonsten seien die Flüchtlinge gut versorgt, versichert der Gastwirt.

In Medlitz scheint die Integration zu funktionieren. Flüchtlinge haben hier eine neue Heimat gefunden. Klar ist, dass diese qualitative Stichprobe kein Pauschalurteil über den Zustand der Flüchtlingsunterkünfte im Allgemeinen zulässt. Dennoch: Es zeigt, dass und wie es funktionieren kann, ein weltoffenes und hilfsbereites Deutschland, das angeblich keinen Plan hat. Auch ist dies ein Signal an jene Skeptiker und Schwarzmaler in der Gesellschaft, die sich nicht über den finalen Wert einer offenen Kultur im Klaren sind. Schließlich bleibt noch anzumerken, dass „Flüchtlinge“ das Wort und nicht das Unwort des Jahres 2015 war. Dieses wiederum war „Gutmensch“.