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„Die Meinung in der Bevölkerung über den Juryfavoriten ist vernichtend!“

Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie nehmen an einem Kunstwettbewerb teil und erreichen die Endrunde – mit fünf weiteren Künstlern. Eine Fachjury kürt Sie zum Sieger. Nur eines steht noch aus: Ihr Kunstwerk soll einmal einen öffentlichen Platz zieren, und daher muss ein Gemeindegremium Sie als Sieger bestätigen. Tritt dabei in Zapfendorf der unwahrscheinliche (und unerhörte) Fall ein, dass dieses die Fachjury überstimmt?

Baptist Schütz, zweiter Bürgermeister der Gemeinde Zapfendorf und zugleich Beauftragter des Gemeinderats für das geplante Mahnmal an die Zerstörung der Ortschaft zum Ende des Zweiten Weltkrieges, stand nach der Sitzung fassungslos vor der Eingangstür zum Sitzungssaal. Gerade einmal fünf Gemeinderäte hatten sich für den Entwurf von Künstler Roland Schön begeistern können, der sich in den Sitzungen der Fachjury eindeutig durchgesetzt hatte.

Aber der Reihe nach: Seit ziemlich genau drei Jahren beschäftigt das Mahnmal nun die Gemeinde. Zunächst sollte selbst eine Skulptur in Auftrag gegeben werden. Im Rahmen des Städtebaulichen Entwicklungskonzeptes (SEK) ergab sich aber die Möglichkeit, aufgrund der besonderen Situation Zapfendorfs Fördergelder zu erhalten. Und die flossen und fließen nicht zu knapp. Etwa 40.000 Euro sind schon auf dem extra eingerichteten Bankkonto eingegangen – unter anderem von der Sparkassen- und der Oberfrankenstiftung. Und auch die Regierung von Oberfranken macht mit.

Siegerentwurf Mahnmal Zapfendorf [6]
Der Siegerentwurf von Roland Schön aus Neudrossenfeld.

Standort wurde bereits geändert

Bereits vor zwei Wochen hatte der Gemeinderat entscheiden wollen, die Deutsche Bahn machte dem aber einen Strich durch die Rechnung: Sie lehnte den vom Künstler favorisierten Standort ab (mehr dazu auch in unseren Artikeln Zapfendorfer Mahnmal: Die Bahn sagt Nein [7] und Wie Zapfendorf bald zu einem „Tempel“ kommt [8]). Also hatte Baptist Schütz ein Treffen mit dem Künstler arrangiert und eine Einigung erzielt: Nicht mehr entlang der Bahngleise, sondern neben dem Parkplatz der Raiffeisenbank sollte das Kunstwerk entstehen. „Die Bodenplatte würde so konstruiert, dass auch einmal eine Versetzung des Objekts möglich wäre, zum Beispiel an die Stelle des bisherigen Bahnhofsgebäudes.“ Denn dieses möchte die Bahn nach Abschluss des ICE-Ausbaus unbedingt beseitigen.

Nach einer Zusammenfassung der bisherigen Diskussionen und der Juryentscheidung startete eine über anderthalbstündige Diskussion. Gemeinderat Georg Söhnlein (Vereintes Umland, VU) sprach sich für den dritten Platz im Wettbewerb aus, einer Stahlsäule mit eingravierten Zitaten. Diese war von der Jury als zu klein für den Bahnhofsplatz eingestuft worden. „Man könnte sie auf ein Podest setzen und drum herum Sitzmöglichkeiten anbieten“, sagte Söhnlein. Auch Georg Ries (CSU) legte sich fest, nachdem er selbst nach eigener Aussage stichprobenartige Meinungsumfragen durchgeführt hatte: „Die Meinung in der Bevölkerung über den Juryfavoriten ist vernichtend. Wir können nicht etwas ins Dorf stellen, das fast keiner will.“

Kunsthistoriker pro, Zeitzeugin kontra Siegerentwurf

Baptist Schütz ging nach diesen Aussagen noch einmal etwas mehr in die Tiefe. Der Auftrag für die Künstler sei auch gewesen, ein Mahnmal zu schaffen, dass nicht nur negativ die Zerstörung zeige, sondern auch den Wiederaufbau. Der Säule könne er allerdings nichts Positives abgewinnen. „Der Siegerentwurf hingegen regt die Phantasie an.“ Auch Gemeinderätin Dagmar Raab (SPD) machte sich für das Mahnmal unter dem Titel „Zeitraum“ stark: „Wir wollen die Jugend ansprechen, zum Nachdenken anregen. Wenn wir uns heute anders entscheiden, hätten wir auch keine Jury gebraucht.“

Im Publikum saßen zwei Mitglieder dieser Jury: Kunsthistoriker Thomas Gunzelmann und Gunda Schaller, eine Zeitzeugin der Zerstörung. Beiden wurde das Wort erteilt. „Sie entscheiden hier nicht allein über Geld der Gemeinde Zapfendorf, sondern über öffentliche Gelder, die auch im Vertrauen auf eine gute Juryentscheidung vergeben wurden“, sagte Gunzelmann und gab außerdem die positiven Eindrücke aus der Jurysitzung weiter. Gunda Schaller hingegen befürchtete: „Die Jugend wird das Mahnmal als Rummelplatz nutzen. Außerdem kann sich niemand etwas darunter vorstellen, ich sehe keinen Erinnerungswert an die Zerstörung.“

Und so fiel eine Entscheidung, die sich im Verlauf der Diskussion abgezeichnet hatte. Nur fünf Gemeinderäte folgten der Meinung der Jury, so dass der Siegerentwurf des Neudrossenfelders Roland Schön aus dem Rennen war. Platz 2, eine großflächige Installation von Künstler Thomas Eller aus Mürsbach war zuvor schon als nicht realisierbar eingestuft worden. Also blieb der dritte Platz des Kunstwettbewerbs, eine Stahlstehle von Bernd Wagenhäuser aus Bamberg, die elf Ja-Stimmen auf sich vereinigte. Von ihm ist beispielsweise die Großplastik auf dem Bamberger Markusplatz (mehr Informationen direkt auf der Webseite von Bernd Wagenhäuser [9]).

Mahnmal Zapfendorf Wagenhäuser [10]
Gemeinderat überstimmt Jury: Bernd Wagenhäusers Säule wird realisiert.

 

Logo 260 [11]Kommentar: Gemeinderäte kontra Kunstexperten

Bürgermeister Josef Martin brachte es auf den Punkt: Über Kunst wird es immer die verschiedensten Meinungen geben. Und Gemeinderätin Dagmar Raab hatte ihren Gremiumsmitgliedern den Zweck eines Kunstwettbewerbs mit Juryentscheidung erklärt, sinngemäß: Otto Normalverbraucher hat nicht die Einblicke wie die Experten. Und deshalb sei eine Jury einberufen worden. Schon immer sei es so gewesen, dass Kunst, die zum Denken anregt, Widerspruch erregt habe.

Und genauso hätte es auch in Zapfendorf sein können. Wenn ein Expertengremium eingesetzt wird, wenn eine eindeutige Entscheidung fällt und wenn dabei zugleich auch Stiftungsgelder Verwendung finden, dann sollte ein Gemeinderat auch über den eigenen Schatten springen und letztendlich „anecken“. Vielleicht wären die Zapfendorfer diesem „Anecken“ in einigen Jahren dankbar gewesen. Denn, denke man über Roland Schöns Entwurf, was man wolle: Er bietet eindeutig mehr Interpretationsspielraum als die Stahlsäule von Bernd Wagenhäuser. Er wäre „begehbar“ gewesen, erlebbar. Wagenhäusers Kunstwerk dagegen werden die meisten Zapfendorfer, wenn überhaupt, einmal betrachten und dann sang- und klanglos daran vorbeilaufen – als wäre es schon immer da gewesen.

Da wäre die Installation von Thomas Eller noch die deutlich bessere Alternative gewesen. Nicht etwa entlang der Grundstücke am Bahnhofsplatz, sondern als Verschönerung der kommenden Lärmschutzwände. Dafür sprach sich aber nur ein einziger Gemeinderat aus. Am Ende bleibt eine dreijährige Mahnmals-Diskussion, die damit endet, dass gewählte Volksvertreter sich gegen die Entscheidung der Experten stellen und den zum jetzigen Zeitpunkt möglicherweise einfacheren Weg gehen. Kommt Ihnen das nicht auch irgendwie aus der großen Politik bekannt vor?

Johannes Michel