Thema im Kemmerner Gemeinderat war neben der vorübergehenden Schließung der Schulturnhalle (im Titelbild) aufgrund von Vandalismus auch die Entlastung der Jahresrechnungen für die Jahre 2018 und 2019. Keiner konnte damit rechnen, dass es gerade hier zum Eklat kommt.
Wiederholt brennendes Licht und laufende Wasserhähne über die Nacht, Beschädigungen. Mehrfach tauchten in der Schulturnhalle in der Vergangenheit solche Probleme auf. Auch im Gemeinderat wurde unter anderem im Juli bereits darüber gesprochen, Bürgermeister Rüdiger Gest führte daneben Gespräche mit Nutzerinnen und Nutzern sowie den Verantwortlichen der Vereine und brachte in der Halle einen Hinweis sowie eine Liste zum Eintragen der Nutzerinnen und Nutzer an. Credo: Es gibt Verhaltensregeln, gerade auch, weil die Gemeinde die Turnhalle unentgeltlich zur Verfügung stellt. Thema des Aushangs waren auch mögliche Konsequenzen.
Nachdem es erneut zu solchen Phänomenen kam, sperrte Bürgermeister Gerst die Turnhalle vom 20. September bis 4. Oktober für nichtschulische Zwecke. „Irgendwann muss die Gemeinde mal handeln. Denn ein gewisses Maß an Eigenverantwortung ist Voraussetzung – und wenn die Regeln nicht beachtet werden, muss mit geeigneten Maßnahmen auf das Thema aufmerksam gemacht werden“, erklärte Gerst. Im genannten Zeitraum konnten Vereine und Gruppen aus Kemmern die Halle somit nicht nutzen. Kritik für die Schließung musste Gerst von verschiedenen Gemeinderätinnen und Gemeinderäten einstecken, aber auch in den sozialen Netzwerken. Credo: Der oder die Verursacher sind nicht bekannt, somit traf die Sperrung größtenteils Unschuldige. Letzter Nutzer war beispielsweise die Damengymnastikgruppe, die als Verursacher aber ausscheidet beziehungsweise „absolut unverdächtig“ ist, wie in der Sitzung zu hören war.
Übungsleiter unter Generalverdacht?
Handelt es sich also um mutwillige Aktionen eines Einzelnen, um der Gemeinde oder dem Sportverein zu schaden? Um Sabotage? Könnte sein, wie Gemeinderat Dr. Oliver Dorsch (Grüne) vermutete. Er kritisierte aber vor allem, dass der Bürgermeister unangemessen reagiert habe. Dem widersprach Gerst – und verwies auf den Aushang und die geführten Gespräche. „Die Steuerzahler können vom Bürgermeister und der Gemeinde erwarten, dass reagiert wird. Und wer mich kennt, der weiß auch, dass ich alles dafür tue, dass eine Nutzung der Halle möglich ist und dass Kinder-, Jugend- und Seniorenarbeit sowie Sport gefördert werden.“ Jochen Gottwald (ZfK) störte, dass die Übungsleiter nun unter Generalverdacht stünden und wünschte sich eine Videoüberwachung des Eingangs oder ein Austausch des Schließzylinders, da überhaupt nicht bekannt sei, wer überhaupt über Schlüssel verfüge. Auch Helmut Wild (ZfK) war für ein neues Schloss – das könne man ja bei Ebay später wieder verkaufen.
Ein solcher Schlosstausch werde im Rahmen der Turnhallensanierung, die im kommenden Jahr durchgeführt wird (voraussichtlich ab Februar laut Architekt, die Ausschreibung der Arbeiten steht noch aus), ohnehin durchgeführt, entgegnete Gerst. Diese Anlage solle dann auch mit vorhandenen wie im Rathaus, Bauhof oder dem Feuerwehrhaus kompatibel sein, so dass eine Lösung von der Stange nicht in Frage kommt. Eine Anschaffung, die nur für wenige Wochen aktuell sei, komme daher nicht in Betracht. Der Videoüberwachung stand er aufgrund datenschutzrechtlicher Bedenken skeptisch gegenüber. Er erwähnte auch, dass er bewusst bisher nicht die Polizei eingeschaltet habe, um keinen Generalverdacht oder Ermittlungen zu provozieren, die sich insbesondere gegen einen Verein richten würden und sehr wahrscheinlich bald wieder eingestellt würden.
Gemeinderat Ulrich Brehm (CSU) fragte, warum der Punkt überhaupt auf der Tagesordnung stehe. Es sei klar, dass hier die Aufsichtspflicht verletzt wurde und dass der Bürgermeister so handeln musste – als Hausherr sei er verpflichtet, Schaden von der Halle abzuwenden. Als sich das Ende der Debatte näherte, begann die Stimmung bereits überzukochen. Nachdem Bürgermeister Gerst in der Sitzung bisher Gemeinderat Helmut Wild (ZfK) immer mit Vornamen angesprochen, Wild hingegen mit „Herr Gerst“ geantwortet hatte, wechselte auch Gerst wieder zur Sie-Form.
Fehlendes Vertrauen in Kolleginnen und Kollegen?
Wäre dies nicht beim Thema Turnhalle bereits geschehen, dann sicher bei der „Entlastung der Jahresrechnung 2018/2019“. Abstimmungen hierzu fanden bereits in einer früheren Sitzung statt, hier war das Gremium allerdings nicht beschlussfähig. Somit mussten sie nun wiederholt werden. Zuerst wurde das Jahr 2018 aufgerufen – neun Gremiumsmitglieder waren für die Entlastung, drei dagegen. Von ihnen forderte zweiter Bürgermeister Volker Pflaum, der die Sitzungsleitung übernommen hatte (der Bürgermeister ist von der Entlastung betroffen und muss die Leitung daher abgeben), eine Begründung. Denn die muss es laut Bayerischer Gemeindeordnung [6] in einem solchen Fall vorgebracht werden.
Wild wollte diese später nachliefern und forderte zwischendurch eine Unterbrechung der Sitzung, um Unterlagen zu Hause zu holen. Bürgermeister Gerst sah in der verweigerten Zustimmung ein deutliches Misstrauen gegen Verwaltung und Bürgermeister und zudem eine rechtswidrige Handlung. Geschäftsleiter Markus Diller erklärte, es seien keine Beanstandungen zur Jahresrechnung gefunden worden, daher könne die Zustimmung nicht verweigert werden. Daraufhin verließen Helmut Wild und Julia Schatkowski-Amtmann (ZfK) die Sitzung. Gerst wies noch darauf hin, dass in einem solchen Fall ein Ordnungsgeld verhängt werden könne.
Bei der Abstimmung zur Jahresrechnung 2019 gab es ebenfalls neun Ja-Stimmen. An beiden Abstimmungen nahmen zudem die Gemeinderäte Dr. Oliver Dorsch und Jochen Förtsch (ZfK) nicht teil, sie hatten den Raum zuvor verlassen und erschienen erst nach den Abstimmungen wieder. „Mein Demokratieverständnis ist es nicht, über etwas abzustimmen, bei dem ich nicht dabei war“, so Förtsch. Damit spielte er darauf an, dass Kemmern keinen Rechnungsprüfungsausschuss hat, sondern die Prüfung durch alle Gemeinderäte erfolgen kann. „Der Gemeinderat hat zweimal in dieser Periode entschieden, dass kein Rechnungsprüfungsausschuss eingerichtet wird“, ergänzte Diller zur Erklärung. Gerst meinte, demokratische Entscheidungen müssten auch respektiert werden. Wenn alle Gemeinderäte bei der Prüfung dabei sein könnten, spreche dies zudem für die Qualität der Prüfung. Die Abwesenheit bei der Prüfung hingegen bedeute nicht, nicht mit abstimmen zu können. Hier gelte es, denjenigen Rätinnen und Räten, die dabei waren, auch zu vertrauen.
Die maßgeblichen Auszüge aus der Bayerischen Gemeindeordnung
Art. 103
(1) Der Jahresabschluss und der konsolidierte Jahresabschluss beziehungsweise die Jahresrechnung (…) werden entweder vom Gemeinderat oder von einem Rechnungsprüfungsausschuss geprüft (örtliche Rechnungsprüfung). Über die Beratungen sind Niederschriften aufzunehmen.
(2) In Gemeinden mit mehr als 5.000 Einwohnern bildet der Gemeinderat aus seiner Mitte einen Rechnungsprüfungsausschuss mit mindestens drei und höchstens sieben Mitgliedern und bestimmt ein Ausschussmitglied zum Vorsitzenden. (…)
Art. 102
(3) (…) Verweigert der Gemeinderat die Entlastung oder spricht er sie mit Einschränkungen aus, hat er die dafür maßgebenden Gründe anzugeben.
Lesetipp: Einen weiteren Artikel zu Themen der Sitzung vom 27. Oktober 2022 finden Sie hier … [7]
