Sie lesen im Internet, in der Zeitung oder in einer Zeitschrift ein Interview mit einem Prominenten? Dann können Sie mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass das Interview vor dem Druck dem Befragten oder seinen Medienvertretern zur Autorisierung vorgelegt wurde. Das wäre an sich in Ordnung, nur wird gerne im Nachhinein Sinn entstellend eingegriffen. Dieser Autorisierungswahn war auch Thema beim Deutschen Journalistentag in Kassel, an dem Johannes Michel teilnimmt.
Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie Interviews zustande kommen? Hier bei Nachrichten am Ort geht es selbstverständlich ohne Pressestellen und andere dazwischen geschaltete Institutionen – ein Anruf genügt, ein persönliches Treffen findet statt, der Text wird dem Befragten vor der Veröffentlichung vorgelegt und geht dann zeitnah online.
Anders sieht es heute bei Interviews mit Prominenten, seien es Politiker, Schauspieler oder Sportler, aus. Im Regelfall läuft die Terminvergabe über eine Agentur oder einen Mitarbeiter des späteren Interviewpartners. Zum Gespräch selbst, das oft gar nicht mehr persönlich stattfindet, steht dann ein sehr begrenzter Zeitrahmen zur Verfügung. Nach dem Interview wird der Text zum Autorisieren an den Gesprächspartner oder seine Mitarbeiter geschickt – eine in Deutschland übrigens flächendeckend verbreitete Praxis. Ihr Sinn: Offensichtliche Fehler auzusmerzen und mögliche Fehlinterpretationen zu korrigieren.
Maulkorb für die „Mitarbeiter“
Oft bleibt es aber nicht dabei. In vielen Fällen werden Interviews im Nachhinein nicht nur be-, sondern regelrecht überarbeitet. Sogar Fragen werden dabei verändert – und so mancher Prominente untersagt die Veröffentlichung urplötzlich ganz. Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit: Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz, Schauspieler Til Schweiger, Moderator Johannes B. Kerner sowie die ehemaligen Fußballer Oliver Kahn und Oliver Bierhoff. Eckart von Hirschhausen, den wir als lockeren, komödiantisch angehauchten Arzt aus dem Fernsehen kennen, stellt für Interviews eine lange Liste an Bedingungen. Gerade im Sport erteilen die Vereine ihren „Mitarbeitern“ gerne einen Maulkorb, sämtliche Stellungnahmen finden über die Presseabteilung statt. Wer sich nicht daran hält, muss mit einer Strafe rechnen – FC-Bayern-Fußballer Philip Lahm dürfte das bekannt vorkommen.
Im Bild: Der Antrag „Wider das gestrichene Wort“.
Auf dem Deutschen Journalistentag 2012 in Kassel war diese Praxis eines der großen Themen. Die Journalisten sprachen sich zwar dafür aus, Interviews auch weiterhin autorisieren zu lassen – dies ist gängige (Rechts-)Praxis. Zusammen mit dem Verlegerverband will der Deutsche Journalistenverband mit anderen Gewerkschaften aber gegen den Autorisierungswahn vorgehen, Journalisten sollen sich künftig gegen starke nachträgliche Eingriffe in ihre Texte wehren können. Für Sie als Leser bleibt eines wichtig: Seien Sie kritisch und bedenken Sie, dass Personen des öffentlichen Lebens sich nur in den seltensten Fällen spontan äußern. Im Lokalen sieht das glücklicherweise anders aus…
Johannes Michel
„*Die* Journalisten“ sprachen sich nicht dafür aus, Interviews auch weiterhin autorisieren zu lassen – nur einige. Und: Obwohl es in der Tat „gängige (Rechts-)Praxis“ ist, verordnen Persönlichkeits- und Urheberrecht keine generelle Autorisierungspflicht. Daher verstehe ich nicht, warum ihr eure Texte den Befragten „selbstverständlich“ vor der Veröffentlichung vorlegt.
Ich unterstütze die Forderung des FTD-Kommentators Klaus Max Smolka: >> Wichtig aber ist der erste Schritt: dass die Zeitungen, Nachrichtenagenturen und Verlegerverbände prinzipiell beschließen, sich nicht gegeneinander ausspielen zu lassen. Daher hier ein Aufruf an die Presse: Folgen wir der „New York Times“. Setzen wir uns zusammen, um zu beraten, wie wir dem Missstand ein Ende setzen. <<
http://www.ftd.de/it-medien/medien-internet/:kommentar-schluss-mit-der-selbstzensur/70101856.html