Großes Spektakel alle zehn Jahre: Die Altweibermühle Reckendorf

Alle zehn Jahre steht ein fränkisches Dorf im Baunachgrund zur Faschingszeit Kopf. Reckendorf: 2.000 Einwohner – 39 Vereine, sie alle helfen zusammen, um die alte Tradition der „Altweibermühle“ zu pflegen, die 1904 erstmals veranstaltet wurde.

„Recken – Helau“ schallt es aus allen Straßen, während sich der Zug durch das Dorf schlängelt. Mit 77 Fußgruppen und Themenwägen waren dieses Jahr so viele Närrinnen und Narren angemeldet, wie noch nie!

Bei kaiserlichem Wetter nahmen mehr als 12.000 Faschingsfreunde eine längere Wartezeit gerne in Kauf, denn die fantasievolle Kostümauswahl und spektakulär geschmückten Gefährte ließen keine Langweile aufkommen. Es dauerte diesmal etwas, bis der Zug starten konnte. Einmal hatte der Agilis-Zug aus Baunach aufgrund des hohen Fahrtgastaufkommens Verspätung, mit dem die Ehrengäste anreisen sollten. Zum anderen filmte ein Team des Bayerischen Rundfunks die Funktionstüchtigkeit und Abläufe der Mühle, was einige Wiederholungen der einzelnen „Takes“ für die Aufnahme mit sich brachte.

Eintrag ins „Goldene Buch“

Von der Masse abgeschirmt erfolgte zunächst die Begrüßung der Ehrengäste im Bahnhof, dem jetzigen „Bräustübla Reckendorf“. Da der angekündigte Ministerpräsident Dr. Markus Söder wegen den Koalitionsverhandlungen nach Berlin berufen war, sprang Staatssekretär Martin Schöffel, MdL kurzfristig ein, und durfte sich als Erser ins „Goldene Buch“ der Gemeinde Reckendorf eintragen. Es signierten weiter Emmi Zeulner (MdB), Holger Dremel (MdL), Sabine Gross (MdL) und Landrat Johann Kalb. Als Geschenk erhielt Sekretär Schöffel von der Zweiten Vorsitzenden des Ortskulturrings, Clarissa Schmitt, Pralinen aus regionaler Herstellung mit dem Reckendorfer Wappen. Die Unterschrift vom Bayerischen Staatsoberhaupt soll hingegen bei einer bevorstehenden Privataudienz des OKR-Gremiums im Nürnberger Heimatministerium nachgeholt werden.

Staatssekretär Martin Schöffel signiert in das „Goldene Buch der Gemeinde Reckendorf.

Sinn und Zweck des Brauchs

Erwin Wahl, Erster Vorsitzender des Ortskulturrings von Reckendorf, stimmte auf das Kommende ein. Dabei berichtete er auch, dass mit der Aufführung der ersten Altweibermühle im Jahr 1904 die Katholische-Arbeiter-Bewegung für notleidende Mitbürger Gelder sammeln wollte, um ihre Lebensumstände zu verbessern. Im Jahr 1929 folgte eine Wiederauflage, und nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Veranstaltung ab 1955 in regelmäßigen Abständen von zehn Jahren abgehalten.

Mittlerweile sei der OKR federführend, so Erwin Wahl, der Erlös fließe zur Hälfte sozialen Zwecken zu, der Rest diene als Rücklage für die kommende „Altweibermühle“, denn die Kosten – gerade für Sicherheit – seien im Vergleich zu vor zehn Jahren aufgrund der hohen Auflagen enorm gestiegen. Der Staatssekretär zeigte sich sichtlich beeindruckt über die Leistung aller Hilfskräfte, und lobte zudem „die hervorragenden Ergebnisse, die offensichtlich in der Mühle produziert werden.“

Prolog des Prinzenpaars

Vor dem Bahnhof begrüßte Prinzessin Tina I. und Prinz Christoph „Dufdy“ I. die Ehrengäste und gaben ihnen eine kurze Einweisung in den Ablauf der Tradition: „In Reckendorf besteht das Faschingstreiben aus alten Hexen, die ein bisschen leiden …“, beginnt der Reim. Jene werden von den Müllern gejagt und, wenn geschnappt, in die Mühle oben hineingesteckt. Danach wird das Mahlwerk gedreht, die alten Knochen fallen an der Seite herunter, und „heraus kommt eine junge Frau, wie soll es anders sein, in die Arme eines Bräutigams und geschwungen wird das Tanzbein.“

Probelauf der Mühle durch den Mühlenmeister

Die Delegation näherte sich anschließend der Mühle, und die Ehrengäste ließen es sich nicht nehmen beim Probelauf selbst mit auf den Wagen zu steigen, um den Vorgang aus nächster Nähe mitzuerleben. Die Befehle gab der Müllermeister. Das Prozedere funktionierte, und das junge Mädchen tanzte nach Erscheinen mit ihrem Bräutigam den Hochzeitswalzer. Zu ergänzen wäre, dass der Walzer jedes Mal von den Reckendorfer Musikanten gespielt wird. Mittlerweile hatten sich auch Pfarrer Dr. Vincent Moolan Kurian und Pfarrvikar Pater Peter Kotwica bei den Ehrengästen, Bürgermeister, Gemeinderat sowie stellvertretendem Landrat Johannes Maciejonczyk eingereiht. Somit konnte der Zug beginnen.

Übergabe des Schlüssels an der Brücke

Doch halt, an der Baunachbrücke war noch eine Schranke geschlossen, und Erster Bürgermeister Manfred Deinlein wurde vom Prinzenpaar in charmanter Weise aufgefordert, seinen Schlüssel zu übergeben, denn so proklamierte der Prinz: „… ab jetzt ist Ihre Regentschaft aus! Wir werden mit dem närrischen Volk durch die Straßen ziehen, um dem Alltag etwas zu entfliehen. Gute Laune ist dabei, also geben Sie uns jetzt die Straße frei“. Dem Bürgermeister blieb somit keine Wahl, und er überreichte der Prinzessin den Schlüssel.

Der Festumzug

Das war der eigentliche Startschuss für den Umzug, ab jetzt reihten sich Wägen und Fußgruppen hinter dem Reckendorfer Wappen – Ehrengästen – Prinzenpaar – KAB – Johanniter-Kindern – und Mühle ein. Dass wegen der Verjüngungskur zehn Mal auf dem Weg gestoppt werden musste, das Mahlwerk rotierte und aus einer Hexe ein junges Mädchen produzierte, störte den Verlauf nicht. Im Gegenteil, die Ehrengäste schienen das Bad in der Menge zu genießen. Denn es ging schon ziemlich eng zu in den Gassen von Reckendorf. Die Begleiter der Zugfahrzeuge mussten das wartende Publikum mehrmals sachte, aber auch energisch zur Seite bitten, damit keiner von den Rädern gestreift wurde.

Der Festumzug schlängelte sich durch die Straßen von Reckendorf.

Zu bewundern waren die Tanzgruppen und Garden, welche es sich nicht nehmen ließen auf beengtem Raum aufzutreten und akrobatische Figuren zu zeigen. Die Zugteilnehmer waren von allen Himmelsrichtungen gekommen: Vom Obermain bis zum Steigerwald, aus den „Heiligen Ländern“, dem Baunachtal bis hinauf nach Maroldsweisach und Pfaffendorf sowie aus dem Itzgrund.

Am Dorfplatz interviewte „Bieber-Beauftragter“ Rolf Baier Mitwirkende der Gruppen, was sie im „normalen“ Vereinsleben tun, wenn kein Fasching ist, und trug somit zur Unterhaltung der Wartenden bei. Die Musikauswahl des DJs half, gute Stimmung und Ausgelassenheit zu verbreiten. Nachdem Staatssekretär Martin Schöffel die Narren und Närrinnen gegenüber der Kirche begrüßt hatte, formulierte Moderator Baier eine Bitte, ob jener sie nach München trage? Es wäre schön, wenn man ehrenamtlich arbeitenden Kräften in Bezug auf Vorschriften mehr entgegen kommen würde, damit solche Bräuche weiterleben könnten.

Faszinierender Ideenreichtum

Die Motive der Faschingswägen bezogen sich u.a. auf die guten alten Zeiten der „80er/90er/2000er Jahre“, Sportaktivitäten etc., und entführten mit dem „Maintalexpress“ (Bauwagen Unterhaid) sowie den „Stöppacher Rednecks“ in die Zeiten der Dampflokomotiven. Gruselig wurde es beim Betrachten der „Hopfenburg“, der Heimat des Biervampirs aus dem Steigerwald. Die dort hausenden Vampire stellten klar: „Wir saugen nicht, wir zapfen“. Doch Entwarnung, die am Rande Stehenden durften sich schließlich auf einen Schluck gezapftes Bier freuen.

Eine Vielzahl der Gruppen wählten ihre Verkleidung aus der regionalen Tierwelt. Allerhand Federvieh, Störche, Frösche oder Bieber tänzelte durch die Straßen. Die Musikkapellen aus Baunach, Priegendorf–Sendelbach, Neubrunn und Kraisdorf ließen die Wartenden in Stimmung kommen.

Im Publikum waren auffallend viele als Sicherheitsleute kostümiert: Polizisten, FBI, Security und SWAT-Mannschaften bewachte das Geschehen. Es waren vier heitere, kurzweilige Stunden, ausgefüllt von tiefem Staunen und guter Laune.

Und dann Party …

Wem das nicht genug war, der folgte dem Aufruf des Prinzen, in der Schreinerei im Gewerbegebiet mit ihm zusammen zu feiern. Noch Stunden nach dem Umzug war dort fast kein Durchkommen. Die Vertreter der Reckendorfer Vereine taten alles, damit sich die Gäste wohl fühlten. Für Essen und Getränkestände war ausreichend gesorgt.

Eine Meisterleistung erbrachten die Arbeiter des VG-Bauhofs. Sie schafften es, alle Spuren mit ihren Kehrmaschinen bis kurz nach 20 Uhr zu beseitigen, so dass Haupt- und Nebenstraßen für den öffentlichen Verkehr wieder freigegeben werden konnten. Jetzt heißt es wieder warten, auf ein kräftiges „Recken – Helau“ in zehn Jahren.


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