Wenn sich Feldhasen auf Inseln sammeln

Die Geschichte von Kemmern ist eng mit dem Main verbunden, der den Einwohnern über Jahrhunderte Nahrung gab, aber auch große Gefahren mit sich brachte. Außerdem bauten die Kemmerner über Jahrhunderte Wein und Hopfen an. Dass diese Tradition verloren ging, hat viel mit dem „Wolfsgraben“, der Grenze zwischen den Gemarkungen Hallstadt und Kemmern, zu tun. Im Erzählcafé gab’s darüber mehr zu erfahren.

Kemmern feiert in diesem Jahr sein 1000-Jähriges – verschiedene Themenabende gehen auf die (Landschafts-)Geschichte und Entwicklung Kemmerns näher ein. Der erste Themenabend mit dem Titel „Zwischen Mainbrücke und Wolfsgraben“ fand nun im Pfarrheim statt. Bürgermeister Rüdiger Gerst freute sich, dass als Referentin Dr. Anne Schmitt, Geschäftsführerin des Flussparadies Franken, gewonnen werden konnte. Zumal Schmitt selbst in Kemmern zu Hause ist. Gerst betonte in seiner Einführung, dass Kemmern kulturlandschaftlich ein Alleinstellungsmerkmal habe: Es gab keine Flurbereinigung, dadurch sei das Wegesystem heute noch so, wie es sich im Hochmittelalter herausgebildet habe. Das Leben in Kemmern sei immer eng mit dem Fluss Main verbunden gewesen – ein ambivalentes Verhältnis. Denn der Main habe den Einwohnern Nahrung gegeben und sei auch sicher der Grund für den Bau der Siedlung an dieser Stelle gewesen, man dürfe aber nicht die Gefahren vergessen, etwa die vielen Hochwasser und den Aufwand, den die Einwohner betreiben mussten, zum Beispiel den ständigen Auf- und Abbau der Mainbrücke, die dem Eis im Winter nicht standgehalten hätte. Erst 1955, so erzählte Dr. Anne Schmitt im Folgenden, wurde eine Betonbrücke errichtet – sie war eng und ermöglichte keinen Gegenverkehr. Die heutige Brücke ist erst 30 Jahre alt.


Zum Themenabend kamen viele Interessierte.


Ar. Anne Schmitt erzählte die Geschichte des Wolfsgrabens.

Hochwasser gab es in Kemmern regelmäßig. Dr. Anne Schmitt präsentierte eine Statistik, die zeigte, dass in etwa alle drei Jahre mit einem Hochwasser am Main zu rechnen sei – dank Hochwasserschutz sei das aber heute kein so großes Problem mehr wie in früheren Zeiten. Interessant: Der Pegel bei Kemmern ist heute ein Richtwert für den gesamten Obermain. Das Pegelhaus kann sogar per Telefon angerufen werden, im Internet gibt es beim Hochwassernachrichtendienst Bayern (www.hnd.bayern.de) jederzeit eine Übersicht dazu.

Was die jungen Kemmerner nicht mehr wissen: Vor etwa 40 Jahren wurde in Kemmern noch Kies abgebaut. Wer von der Mainbrücke Richtung Hallstadt blickte, fand eine Kiesförderbrücke vor, die heute noch existiert, aber (mittlerweile ungenutzt) weiter nördlich Richtung Baunach steht. Von der Eisenbahnstrecke Bamberg/Ebern ist sie zu sehen. Veränderungen erfuhr der Main auch durch die Flößerei, für die er begradigt, ausgebaggert und befestigt wurde. Erst in den 1990er Jahren entstand, nach vielen Hochwassern – das Wasser hatte einfach zu wenig Platz, das Ziel, den Fluss wieder zu renaturieren.


Auf- und Abbau: Die Mainbrücke war früher kein festes Bauwerk.

Nicht für jeden waren die Hochwasser schlimm

Aber nicht nur der Fluss mahne dazu, so Schmitt, sorgsam mit der Natur umzugehen. Auch der Wolfsgraben, eine wilde Schlucht zwischen Hallstadt und Kemmern, zeige das sehr genau. Er ist kein natürliches Phänomen, sondern entstand durch Erosion: „Der Mensch hat hier Landnutzung betrieben, heute ist dort keine Landwirtschaft mehr möglich“, sagte Schmitt. Denn auf der anderen Seite des Mains gab es früher Wein- und später Hopfengärten. Die Hänge waren nicht derart bewaldet wie heute. Bis der Regen den fruchtbaren Boden immer weiter abspülte, was Schmitt schon in ihrer Diplomarbeit 1999 nachweisen konnte.

Der Themenabend war aber auch als Erzählcafé konzipiert – und so gaben viele Kemmerner ihre Geschichten rund um Wolfsgraben und Main zum Besten. Einige konnten sich noch an den Hopfenanbau erinnern, größtenteils zum Eigenverbrauch, aber auch zum Verkauf. Andere erzählten, dass sie in den frühen Morgenstunden mit raus zum Fischen gehen mussten, danach stand selbstverständlich die Schule auf dem Programm. Wer Fischrechte bis nach Rattelsdorf hatte, musste (ohne Motor) flussaufwärts fahren, was viel Kraft kostete. Fisch blieb in Kemmern lange ein Grundnahrungsmittel, vor allem in der Nachkriegszeit, als es wenige Alternativen gab. Und auch lustige Geschichten waren zu hören. Etwa, welch Spaß es für die Kinder war, sich mit alten Autoreifen im Main flussabwärts treiben zu lassen. Oder, dass das Hochwasser nicht für alle Kemmerner ein schlimmes Ereignis war, sammelten sich doch auf kleinen Insel die „gestrandeten“ Feldhasen, die somit einfach einzufangen waren. Oder in kleinen Pfützen die Fische, wenn das Wasser sich wieder zurückzog.


Historisches Foto, aufgenommen beim Hochwasser 1967.


So sieht der Wolfsgraben heute aus.

Mit dem Kemmerner Heimatlied endete der Themenabend. Abschließend durften sich noch zwei in Kemmern wohnende Asylbewerber vorstellen – sie gaben einen Einblick in ihre Herkunftsländer Armenien und Syrien. Für die Verpflegung am Abend hatten Asylbewerber aus Unterleiterbach gesorgt.

Fotos: Johannes Michel, Thomas Ochs, Gemeindearchiv Kemmern
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Ein Kommentar

  1. Kompliment an Frau Dr. Anne Schmitt. Sie hat einen sehr kurzweiligen, interessanten Abend vor großem Publikum bravourös gestaltet.
    Auch an den Helferkreis der Asylanten großes Kompliment!

    Übrigens, es folgen noch weitere interessante Themenabende im Rahmen der 1000-Jahr-Feier.
    Herzliche Einladung an Alle!

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