„Unsere Generation hat es sich zu gemütlich gemacht!“

Nach zweimaliger Verschiebung ging es nun endlich los. Im Bürgerhaus Lechner-Bräu in Baunach startete das Bamberger Literaturfestival – eine Veranstaltungsreihe, die sich seit dem Jahr 2016 fest etabliert hat. Den Eröffnungsabend markierte am Montagabend ein Gespräch zwischen Michel Friedman und Bambergs Oberbürgermeister Andreas Starke.

Es sind harte Worte. „Wir sind in Deutschland 20 Jahre hinter der Zeit. Wir agieren, als befänden wir uns im 20. Jahrhundert.“ Michel Friedman, bekannt als Fernsehmoderator, Jurist, Politiker und ehemaliger stellvertretender Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, sitzt zusammen mit Bambergs Oberbürgermeister Andreas Starke auf der Bühne. Der hat zahlreiche Fragen vorbereitet, die Friedman beantwortet, aber immer wieder einen noch größeren Bogen spannt. Aufgehängt ist das Gespräch an Friedmans neuem Buch „Zeitenwende – Der Angriff auf Demokratie und Menschenwürde“, das er zusammen mit dem Soziologen Harald Welzer verfasst hat. Die Coronapandemie beeinflusste auch die Veröffentlichung des Buches – im November 2019 starteten die beiden Autoren. Zentral sind aber andere Fragen: Wie sieht die Zukunft der Demokratie aus? Welche Rolle spielen soziale Ungleichheit oder der Klimawandel? Fehlt es Deutschland und der Welt an politischen Konzepten und Lösungen?

Vor dem Gespräch begrüßten Andreas Starke, Landrat Johann Kalb, Klaus Stieringer und Wolfgang Heyder mit vielen Infos zum Literaturfestival.

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Oft heißt es ja, dass Corona einen Lerneffekt erzeugt habe. Hat die Demokratie aber, für die diese Pandemie ein großer Test war, ihn auch bestanden? Nein, meint Friedman. Und hier verweist er direkt auf die gerade absolvierte Bundestagswahl. „Gestern wurde die AfD wieder in den Bundestag gewählt. Vor vier Jahren herrschte da noch große Empörung, heute nicht mehr. Wir haben uns daran gewöhnt. Obwohl die Wölfe im Schafspelz diesen ausgezogen haben. Denn mehr als Höcke geht ja wohl nicht.“ Deutlich verwehrt sich Friedman der gängigen Meinung, AfD-Wähler wären Protestwähler. „Wenn Sie SPD wählen, dann wollen Sie doch, dass Olaf Scholz Kanzler wird und diese Partei an die Macht kommt. Warum unterstellen wir das nicht genauso den AfD-Wählern?“

Auf zur Gegenrede

Ein zentraler Begriff des Abends wird dann der „Anfangspunkt der Gewalt“. Friedman fordert das Publikum auf, sich diesem entgegenzustellen. Es könne nicht sein, dass neun von zehn Wählern demokratische Parteien gewählt hätten, die Stimme des verbleibenden einen aber, gerade in den sozialen Medien, lauter sei. Einen konkreten Vorschlag hat er auch: „Halten Sie einmal im Jahr nicht die Klappe“, meint Friedman. Wenn auch nur ab und an, so müsse sich jeder, dem die Demokratie etwas wert sei, nicht nur der Diskussion stellen, sondern auch Gegenrede betreiben. Und nicht einfach das Gesagte so stehen lassen. „Unsere Generation hat es sich zu gemütlich gemacht!“

Das Publikum lauschte gespannt den Worten von Friedman.

Michel Friedman und Andreas Starke

Wichtig sei, neugierig zu bleiben. Sich nicht nur mit Menschen der eigenen „Peer-Group“ zu beschäftigen. „Ich hatte nie Probleme mit der Vielfalt der Menschen, sondern vielmehr mit ihrer Einfalt“, meint Friedman. Zur Sprache kommt auch, wo er aktuell die größten Schwierigkeiten für die Demokratie sieht. Und hier nennt Friedman zuerst die Bildungsungerechtigkeit. Natürlich sei das Einmaleins aus den Schulen nicht wegzudenken, aber auch humanistisches Lernen dürfe nicht vernachlässigt werden. „Wir müssen weitergegeben, dass jeder ein Jemand ist, keiner ein Niemand.“

Nach rund einer Stunde endet das Gespräch zwischen Friedman und Starke. Mit der Erkenntnis, dass große Aufgaben verbleiben. Dass die Bundestagswahl nicht automatisch ein Aufbruchssignal sendet. Aber auch mit dem Eindruck, dass Corona eines nicht geschafft hat: Die Kultur zu besiegen. Schön, dass solche Abende wieder live und mit Publikum möglich sind …

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