Es scheint fast so, als sei die Region Bamberg gleich einem kleinen unbeugsamen gallischen Dorf, das nicht müde wird, sich gegen die ICE-Strecken-Ausbaupläne der Deutschen Bahn zur Wehr zu setzen. Einst geplante Trassenverläufe oder die Auswahl irrsinniger Lärmschutzmaßnahmen sorgten für viel Widerstand im letzten noch zu erschließenden Streckenabschnitt zwischen München und Berlin. Nach zahlreichen Überarbeitungen befindet sich das Planfeststellungsverfahren nun in seiner Umsetzung – Zeit, eine Bilanz zu ziehen.
Nachrichten-am-Ort-Praktikant Andreas Scheuerer wohnt in Bamberg. Dass im nördlichen Landkreis die Bahnbaustelle seit einigen Wochen das Bild bestimmt, wurde ihm schnell klar. Wie sieht er den Bahnausbau? Was würde er als Anwohner erwarten? Mehr dazu in einem kurzen Video …
Trotz seiner fast schon antiquiert klingenden Namensgebung ist das „Verkehrsprojekt Deutscher Einheit“, kurz VDE, ein außerordentlich sinnvolles Vorhaben. Denn mit dem viergleisigen Ausbau der ICE-Strecken soll die Bahn künftig eine echte Alternative zum Automobil oder Flugzeug sein. So kann dann die Strecke München-Berlin (VDE 8) in einer Rekordzeit von nur vier Stunden bewältigt werden, was speziell Autofahrer zum „Umsteigen“ bewegen soll. In der Konsequenz heißt das: Weniger Umweltbelastung durch weniger Schadstoffausstoß und ein Schritt hin zu den Klimazielen 2020. Finanziert wird das zehn Milliarden Euro teure Projekt, das bis 2017 fertig gestellt werden soll, von der Europäischen Union, dem Bund und schließlich der Bahn selbst. Soweit so gut, oder?
Keineswegs, denn mit der Finanzierung steht das erste große Ärgernis für die Nachrichten-am-Ort-Gemeinden auf der Tagesordnung. Während sich die Bürger auf eine große Baustelle zwischen Hallstadt und Zapfendorf Nord eingestellt hatten, reichen, laut Aussage der Bahn, die Finanzmittel aktuell nicht mehr aus, um das komplette Stück fertigzustellen. Stattdessen soll nun zunächst die Strecke von Breitengüßbach bis Zapfendorf gebaut werden, bevor später das Stück zwischen Hallstadt und Breitengüßbach erneuert wird. Wann genau, weiß niemand. Bereits so gut wie fertiggestellt ist dagegen der Abschnitt ab Unterleiterbach über Ebensfeld hinaus.
Die Teilung des Bauvorhabens in zwei Baustellen scheint jedoch ein wenig durchdachtes Vorhaben und ein Ärgernis für beide Seiten zu werden: Denn zum einen müssen Baufahrzeuge zweimal an- und abrücken, was die gesamten Kosten nur weiter in die Höhe treiben wird und am Ende wahrscheinlich mehr verschlingt, als eine einfache Baustelle; zum anderen müssen sich insbesondere die Anwohner von Kemmern und Hallstadt die nächsten zwei Jahre auf Baustellen vorbereiten, die nicht nur aufgrund ihrer Anwesenheit an sich ein Ärgernis bedeuten, sondern auch und vor allem wegen des so ungeliebten Schienenersatzverkehrs.
Baustellenfahrzeuge sind immer ein Ärgenis, besonders wenn sie, wie hier in Zapfendorf, viel Dreck hinterlassen.
Das Ausweichen auf Busse oder Autos wird den Norden Bambergs im Besonderen im Jahr 2016 beherrschen, da ab dem 11. Januar eine achtmonatige Vollsperrung der Zuggleise ansteht. Dabei kommt erschwerend hinzu, dass auch die Autobahn wegen der Bauarbeiten einspurig werden wird. In der Konsequenz bedeutet der Schienenersatzverkehr für die Einwohner der Nachrichten-am-Ort-Gemeinden, die nach Bamberg müssen, vor allem eines: Viel Verspätung! Dies wird Schüler wie Arbeitnehmer gleichermaßen treffen und auch wenn sich die Schulen schon darauf eingestellt haben – alle Schulen haben zugestimmt, dass keine Schulaufgaben in der ersten Stunde gehalten werden – ist noch nicht ganz klar, wie eine vergleichbare Maßnahme in der Realwirtschaft, also bei den Unternehmen aussehen könnte.
„Die Kommunen haben jedoch viel erreicht“
Abgesehen von der Vollsperrung werden die Baumaßnahmen größtenteils „unter rollendem Rad“ stattfinden. Die sehr komplizierte topographische Lage des geplanten Überwerfungsbauwerks bei Unteroberndorf, wo die Ausbaustrecke über die bereits vorhandene Strecke geführt werden soll, erschwert ein solches Bauvorgehen zusätzlich. Obendrein birgt die Verlegung der Mainschleife bei Ebing sowie auch die starke Rodung des Waldes eine Gefahr für Flora und Fauna der Umgebung.
Neben all dem Ärgernis haben die Verhandlungen der Gemeinden mit der Bahn doch bereits zu beträchtlichen Erfolgen geführt, wie der Vorsitzende der Bürgerinitiative „Das bessere Bahnkonzept“ Stefan Kabitz erklärt. So wurde die ursprünglich geplante Überführung der Autobahn in eine Unterführung gezwungen, da erstere auch zu einer Vollsperrung der A73 geführt und dies für die Anlieger noch mehr Verkehrschaos bedeutet hätte. Weiterhin haben die Bürger und die Gemeinde von Breitengüßbach zusammen für die Verlegung einer Baustraße, die ursprünglich nahe an der örtlichen Schule vorbei führen sollte, gesorgt. Das Gefahrenpotenzial für die Schüler wäre hierbei sehr groß gewesen, weshalb ein Umdenken der Bahn unabdingbar war, kommentiert Kabitz.
Die Staatsstraße zwischen Unteroberndorf und Zapfendorf bleibt während des Bahnausbaus lange gesperrt.
Laut Kabitz hat am meisten jedoch die Gemeinde Kemmern erreicht. Im Zentrum der Debatte stand dabei im Besonderen der Wirtschaftsweg. Da der Bahnübergang bereits seit 165 Jahren eine Institution darstellt, wäre es eine schlechte Politik gewesen, diesen zu verlieren, sagte auch Bürgermeister Rüdiger Gerst bei einer Bürgerversammlung. Mit dem neuen Wirtschaftsweg ist die Gemeinde zwar an der Finanzierung beteiligt, erhält dafür allerdings auch eine neue Brücke über die Bahngleise. Zudem hat Kemmern auch in puncto Lärmschutz einen vermeintlichen Sieg errungen. Mit vier Meter hohen Schutzwänden und passiven Schutzmaßnahmen wird die Bahn hier nun den maximalen Schallschutz für die Anwohner gewährleisten. Im Gegensatz zum Wirtschaftsweg erfolgt die Umsetzung dieser Maßnahmen allerdings erst in dem oben bereits erwähnten zweiten Bauabschnitt.
Auch wenn die Bürger und Gemeinden Beträchtliches erreicht haben, so waren die Verhandlungen mit der Bahn doch äußerst zäh, so Kabitz. Darüber hinaus gab es Versprechungen, die in den ersten Planfeststellungsverfahren gar nicht erst oder wenn überhaupt nur in eigens abgeänderter Form aufgelistet waren. So wurden beispielsweise die Schallschutzmauern in Unterleiterbach, ohne die Bürger zu informieren, von drei auf viereinhalb Meter angehoben. Eine solche, nennen wir es mal, Informationspolitik habe das Vertrauen der Anwohner in die Bahn zu Recht zerstört, erklärt Kabitz. Kein Wunder also, dass immer noch viel Zweifel und Misstrauen im Norden Bambergs vorherrscht.
Doch wer gewinnt nun den Kampf um das gallische Dorf? Für einen Außenstehenden stellt das sich in der Umsetzung befindliche Planfeststellungsverfahren trotz der angeführten Ärgernisse einen Kompromiss zwischen den Beteiligten dar, in dem auch die Bahn Zugeständnisse machen musste. Zudem sollte hierbei nicht unerwähnt bleiben, dass der Widerstand der „Gallier“ nicht nur positive Auswirkungen für die Nachrichten-am-Ort-Gemeinden haben könnte, was das Bild des kleinen und stets rechtschaffenen gallischen Dorfes etwas entzaubert. Eine abschließende Bewertung vermag der Autor dieses Textes auch deshalb nicht abzugeben und doch scheint eines klar zu sein: So einseitig wie bei Asterix wird dieser Wettstreit wohl nicht enden und das wäre auch nicht wünschenswert.