Wochenmarkt, Fahrservice, Lieferdienst, Dorfladen …, die Ideen und Vorschläge sprudelten, als gut 120 interessierte Bürger – darunter Bürgermeister Rüdiger Gerst und fast alle Gemeinderäte – am 15.05.2018 im Kemmerner Pfarrheim angeregt und in guter Atmosphäre die Möglichkeit diskutierten, ob und wie in Kemmern wieder eine lokale Nahversorgung geschaffen werden könne, nachdem der letzte Markt vor mittlerweile bereits zwei Jahren seine Pforten geschlossen hatte.
Eingeladen hatte der Verein „Zukunft für Kemmern“, der im Winter in allen Haushalten eine Bürgerbefragung über den Bedarf durchgeführt hatte und nun das Ergebnis der Umfrage vorstellen wollte.
Gleich zu Beginn der Veranstaltung betonte der Vereinsvorsitzende Helmut Wild, dass die Wiederbereitstellung einer örtlichen Einkaufsmöglichkeit nicht die Sache eines einzelnen Vereins, sondern eine Anstrengung der gesamten Bürgerschaft sein müsse. „Zukunft für Kemmern“ habe nach zahlreichen Bürgeranfragen zwar die Befragung durchgeführt und das heutige Treffen organisiert, es müsse sich nun aber eine Gruppe an freiwilligen Helfern finden, die das Thema vorantreibt – oder eben nicht. Der Abend und die Diskussion seien bewusst ergebnisoffen, man wolle den Bürgern weder eine Richtung vorgeben, noch unerfüllbare Erwartungen wecken.
Viele interessierte Bürger waren ins Pfarrheim gekommen.
Dass Kemmern gesteigerten Bedarf hat, wurde spätestens bei der Vorstellung der demographischen Daten klar: um stolze 36 Prozent steige in Kemmern laut Prognose des bayerischen Landesamtes für Statistik im Zeitraum von 2014 bis 2028 der Anteil der über 65-Jährigen, während der Anteil der 18- bis 65-Jährigen um 15 Prozent und der Anteil der unter 18-Jährigen um sieben Prozent falle. Bürgermeister Gerst wendete richtig ein, dass aktuellere Daten, welche die Gemeinde selbst erhebe, aufgrund steigender Geburtenzahlen ein weniger dramatisches Bild zeichneten, dennoch machten die Zahlen deutlich, dass zukünftig ein hoher Prozentsatz an Bürgern eine zu Fuß oder Rad erreichbare Einkaufsmöglichkeit brauchen wird.
Die Daten aus der Befragung zeigten ein ähnliches Bild. „Zukunft für Kemmern“ hatte die Umfrage an 950 Haushalte verteilt und erhielt über 300 Rückläufer, von denen 223 eine Einkaufsmöglichkeit als sehr wichtig und weitere 100 als wichtig einstuften. Auch auf die Frage, ob die Nahversorgung noch wichtig sei, wenn höhere Produktpreise oder das Zeichnen von Genossenschaftsanteilen akzeptiert werden müsse, antworteten noch immer 159 Haushalte mit sehr wichtig und 133 mit wichtig. 196 Haushalte sprachen sich zudem für eine Grundversorgung aus, während nur 72 ein Vollsortiment wünschten. Laut Referent Jochen Gottwald zeige sich darin bereits ein gewisser Leidensdruck und die Bereitschaft, zugunsten der Nahversorgung Abstriche in Bequemlichkeit und Sortiment zu machen. Dazu passend sprachen sich 202 Haushalte dafür aus, mit einem lokalen Einkauf Kemmern unterstützen zu wollen, 126 war die Qualität der Produkte und 226 Haushalten der kurze Weg wichtig. Auch bei der Auswertung der persönlichen Bemerkungen wurde eine Konzentration auf eine Grundversorgung mit Metzger und Bäcker, eine Bioqualität der Produkte und autoloses Einkaufen bemerkbar.
Anschließend an die Auswertung der Fragebögen fasste Gemeinderat Jochen Förtsch seinen Telefon- und Schriftverkehr mit verschiedenen Lebensmitteleinzelhändlern in einem kurzen Fazit zusammen: einen klassischen Lebensmittelmarkt werde es in Kemmern in mittelbarer Zukunft nicht mehr geben. Dazu sei die Kaufkraft zu gering und die Infrastruktur um Kemmern herum zu gut. Lediglich tegut könne sich ein Engagement vorstellen, jedoch nur unter der Auflage, dass der Markt von einem sozialen Träger geführt werde. Bürgermeister Gerst konnte diesen Grundton aus seinen eigenen Gesprächen mit den Einzelhändlern bestätigen.
Was sind die Alternativen zum Lebensmittelmarkt?
Schnell kristallisierten sich in der Diskussion drei Hauptstränge heraus: ein Dorfladen mit regionalen, hochwertigen und einigen günstigen Produkten; die Bündelung von Lieferservices als Direktvertrieb, eventuell gepaart mit (Online)Bestellung und Abholstation; eine Verbesserung des Nahverkehrs/Fahrdienste.
Bürgermeister Gerst erinnerte daran, dass Kemmern einen Metzger und eine Bäckerei habe und es bereits eine Reihe von Anbietern gäbe, die Ihre Spezialitäten im Direktvertrieb vermarkten. Es sei deshalb bei allen Vorhaben immer zu beachten, dass man den bestehenden Angeboten keine Konkurrenz mache, so wünschenswert sie auch seien. Daran anschließend gab es Meinungsäußerungen, die anregten, die bereits bestehenden Angebote als Chance zu sehen, um sie in den Dorfladen zu integrieren beziehungsweise über ehrenamtliche Mitarbeit gleichzeitig die Preise für die Bürger moderat und für die Anbieter attraktiv zu halten. So kam aus dem Publikum auch direkt der Vorschlag, dass das erste Ziel eines zu gründenden Arbeitskreises sein müsse, eine Aufstellung zu machen, wer in Ort und Umkreis heute schon etwas verkauft und welche Produkte das sind. Gleichzeitig sollten Listen der Produkte erstellt werden, welche die Kemmerner Bürger unbedingt benötigen, um dann zu bestimmen, welche Sortimentsbreite ein Dorfladen abdecken müsse. Gemeinderätin Silvia Jung schlug vor, dass man, zur Unterstützung der lokalen Anbieter, neben dem Dorfladen auch über einen wöchentlichen Markt nachdenken sollte, der zusätzlich Kundschaft ins Dorf ziehen könne. Vielen war auch wichtig, dass Markt und/oder Dorfladen ein Ort der Begegnung sein sollen.
Kontrovers diskutiert wurde auch die Idee, dass die lokalen Vereine sich verpflichten könnten, den Bedarf für ihre Feste komplett aus dem Dorfladen zu decken. Einige Bürger sahen das als realistisch, während andere davor warnten, dass das in der Praxis nicht umzusetzen sei, weil es vielleicht eine Zeit lang funktioniere aber dann doch wieder anders gehandhabt werden könnte. Schließlich sei man sich einig, dass man die Vereine nicht zwingen könne und wolle. Die Motivation aufrecht zu erhalten, den Dorfladen aus Idealismus zu unterstützen, wurde ganz allgemein als große Herausforderung angesehen. Gemeinderat Oliver Dorsch brachte es auf den Punkt: ob der Dorfladen erfolgreich sein kann oder nicht, werde sich daran zeigen, ob und in welcher Höhe die Bürger bereit sein werden, Genussscheine zu erwerben, um dem Laden eine dauerhafte Perspektive zu bieten.
Für den Fall, dass sich in der Bevölkerung keine Bereitschaft abzeichne, einen Dorfladen dauerhaft zu unterstützen, wurde auch die Frage einer Neutaktung der Busverbindungen intensiv diskutiert und Bürgermeister Gerst gab zu den Möglichkeiten bereitwillig Auskunft.
Am Ende des Abends verblieb eine überwiegend positive Stimmung. Auch wenn nicht geklärt war, ob Kemmern in nächster Zeit wieder eine Nahversorgung bekommt, zeigten sich die meisten Anwesenden doch erfreut, das Thema einmal öffentlich besprochen zu haben und es war schön anzusehen, dass im Nachgang der Veranstaltung noch einige Bürger verweilten und gleich anfingen Ideen auszutauschen und Pläne zu schmieden. Einige von ihnen trugen sich auch unmittelbar in die ausliegenden Listen ein und erklärten sich bereit am Arbeitskreis Nahversorgung teilzunehmen, der von nun an das Thema übernehmen soll.
Der Termin für das erste Zusammentreffen des Arbeitskreises steht noch nicht fest, interessierte Bürger sind herzlich eingeladen sich bei Helmut Wild, dem Vorsitzenden des Vereins „Zukunft für Kemmern“ zu melden, der zugesagt hatte, in der Übergangsphase noch die Koordination und Informationsweitergabe zu übernehmen. Die Ergebnisse und Auswertungen der Befragung sind auf der Homepage des Vereins www.zukunft-kemmern.de abrufbar.